Ein Tag im Leben eines Mitglieds im Bundestags Politisches bewegen In der Haushaltswoche ergeben sich für den Bundestagsabgeordneten aus Pforzheim kaum Pausen
Früh übt sich...
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Ein Tag im Leben eines Mitglieds im Bundestags (2)Trotz Abstimmungsstress und Arbeit mit "Franz" Wertefreiheit erhaltenDer Arbeitsalltag einer Bundestagsabgeordneten verlangt nicht nur Konzantration und Zeitmanagement, sondern auch Fitness(01.07.2006) 1999 führte die Labour-Regierung den Mindestlohn in Großbritannien ein. Er liegt momentan bei 7,36 Euro pro Stunde. Eine wirtschaftlich kontraproduktive Wirkung blieb entgegen vorher geäußerter Befürchtungen aus, steht in dem Text, den Katja Mast morgens 7 Uhr 45 im Englisch-Kurs des Bundestags fast fließend übersetzt. Als Mitglied des Bundestages und des Ausschusses für Arbeit und Soziales trifft die 35-jährige SPD-Politikerin bald Vertreter der Labour-Partei, um sich mit ihnen über „minimum wage“ auszutauschen – auf Englisch. „Mindestlöhne können im geöffneten Europa eine Lohnschlacht verhindern,“ erklärt sie der englischen Lehrerin in deren Muttersprache.
Um Geld geht es eine Stunde später auch im Plenarsaal. Angela Merkel verteidigt ihren Haushalt – durch Klatschen unterstützt von Katja Mast, die immer die Zeit im Blick hat: Ein Fan hat sich angekündigt. 700 Kilometer ist Hubert Augenstein mit dem Fahrrad nach Berlin gefahren. Auf dem Dietlinger Straßenfest hatte er versprochen: „Wenn Sie es in den Bundestag schaffen, komme ich Sie mit dem Rad besuchen.“ Jetzt, nach drei Tagen Fahrt, ist der 72-jährige da und erhält eine persönliche Hausführung. Im Foyer des SPD-Fraktionssaals hängt ein Bildnis Fritz Erlers. „Den habe ich beerbt,“ sagt Mast und zeigt stolz auf das Schwarzweißfoto. Im Saal selbst sitzt sie bei Sitzungen gleich in der ersten Reihe. Sie zeigt auf die Vorstandsbank: „Da sitzt der Franz.“ Das politische Verhältnis beider ist tatsächlich näher als die zwei Meter über den Vorstandstisch: Als die Familienkasse mit dem Umzug nach Nagold ihre Pforzheimer Sprechstunde strich, schickte Mast einen Brief an Müntefering. Der veranlasste ein Pilotprojekt, das an einem Vormittag Sprechstunden in Pforzheim ermöglichte. „Die Resonanz ist sehr gut, obwohl es kaum bekannt gemacht wurde.“ Ein weiterer Kontakt der beiden Genossen war „Du, Franz, wie wäre es mit einem Gütesiegel ‚50+‘ für Unternehmen, die über 50-jährige anstellen?“ Franz war angetan.
Es geht weiter in den Süd-Ost-Turm des Reichstagsgebäudes. SPD-Territorium. An den Wänden frühere Wahlplakate. Friedrich Eberts Plakat steht am Boden. Trotzdem erfährt es Beachtung: „Es hat mich echt umgehauen, dass ich am gleichen Tag wie er Geburtstag habe,“ lacht Mast. Es geht hinaus auf die Zwischenetage. Weil die Sitzung unten noch andauert, verwehren Rollos die Sicht durch den Innenkegel der Reichstagskuppel. Da ist nur ein dünner Spalt. Mast linst kniend hindurch und erklärt die Sitzordnung. Zweimal hat sie dort unten schon eine Rede gehalten. „Das ist viel für einen Neuling“. Ihre Gäste sind begeistert. Nur eine Stunde gewährt ihnen der Terminplan. Gegen 12 Uhr geht Katja Mast in die Kantine des Paul-Löbe-Hauses. Während draußen Spreeschiffe vorbei tuckern - mit Touristen, die hoffen, durch die Scheiben Politprominenz zu erkennen - zerschnibbelt die leidenschaftliche Köchin Mast ihre Curry-Wurst. „Die hat mich gestern schon angemacht.“ Zeit zum Reden. Große Koalition. Wahlniederlage im Ländle. Die Arbeit im Ausschuss bei rund 5 Millionen Arbeitslosen: „Ja, ich verwalte Arbeitslosigkeit. Wenn ich die Hoffnung verlieren könnte - ich hätte mich nicht für die Politik entschieden. Aber ich muss auch Fehlinformation gegenarbeiten. Etwa wird erwogen: Wer dreimal ein Angebot ablehnt, kann, ich betone: kann sein Geld gestrichen bekommen. Das liegt im Ermessen des Beraters. Aber wie soll eine Arbeitsagentur bei der derzeitigen Lage drei Angebote im Jahr machen?“ Die SPD hatte für den Wahlkreis 280 eine wirtschaftserfahrene Kennerin des SPD-Klientels gesucht. Und in Katja Mast gefunden: Sie hielt sich mal mit Bafög oder Sozialhilfe über Wasser, „nahm jeden Job an – auch Putzen“, arbeitete sich hoch zur Personalstrategin der Bahn. Dann der Wechsel in die Politik. „Meine persönliche Wertefreiheit finde ich nur in der Politik.“ Fraktionszwang? „Beim Kongo-Einsatz habe ich lange an mir gearbeitet. Ich habe gegen den Abriss des Palasts der Republik gestimmt.“
Eine SMS beendet das Gespräch: Eine namentliche Abstimmung wurde vorverlegt. Auf dem Weg trifft Mast ihre Parteigenossen Andrea Nahles und Hubertus Heil. Man schäkert, spielt mit den hellblauen Stimmkarten. Abstimmung. Dann geht es zu den „Youngsters“, den unter-40-jährigen SPD-Abgeordneten. Hier wird Politik gemacht „unter Drei“, also unter Ausschluss jedweder Öffentlichkeit. Man spekuliert über eine mögliche „Jamaika-Kiste“, erwägt hie und da den „Schalter umzulegen“, wenn man unter den „Alten“ Mitstreiter fände. Junge Ideen werden geäußert – eine knappe Stunde lang. Danach macht sich Mast auf den Weg in ihr Büro. Im Haus „UdL 50“ gelegen, ist es im Vergleich zu anderen weit vom Plenum weg. Dafür sitzt Mast mit Schröder auf einem Stockwerk und mit Schily Wand an Wand. Ihr Büro verwaltet Christiane Gregor. Sie arbeitete schon vorher im Bundestag, das macht ihre Aussage gewichtiger: „Katja arbeitet sehr viel und viel selbst. Sie ist immer für uns greifbar. Es ist spannend zu sehen, wie sie als neue MdB ihre Position erkämpfen muss.“ Dann erinnert sie ihre Chefin an die anstehende namentliche Abstimmung. Mast ist spät dran. Ihre Fitness ist gefragt. Sommersonne. Bei Rot über die Wilhelmstraße. Durch das Atrium des Jakob-Kaiser-Hauses. Die Wangen nehmen die Parteifarbe an. Mit der Frage der stellvertretenden Bundestagspräsidentin Gerda Hasselfeldt, „hat einer der Abgeordneten noch nicht seine Stimme abgegeben?“, fällt Masts Stimmkarte in die Urne. „Das war knapp.“
Das Jahr Forschungsarbeit in Madagaskar war das anders: „‚Mura, mura‘, langsam, langsam: Das Lebensmotto der Madagassen. Obwohl es das zehnt ärmste Land ist, lachen die Menschen dort trotzdem.“ Aber Madagaskar ist Hobby. „Menschlich bin ich in Pforzheim und dem Enzkreis angekommen. Vom berüchtigten Bruddler habe ich nichts mitbekommen.“ Abschluss des Tages: Eine Diskussionsrunde der Bertelsmann-Stiftung. „Arbeit statt Abstellgleis – mehr Beschäftigungschancen für Ältere.“ Mit dabei auch die Konkurrenz. Die Abgeordnete der Grünen kritisiert die Pläne der Großen Koalition als erwiesen misserfolgversprechend. Mast krallt sich in ihre Armlehnen, grummelt leise in sich hinein: „Sie verdreht die Zahlen. Es sind 18 Monate!“ Parteigenossin und geladene Diskussionsteilnehmerin Gabriele Lösekrug-Möller kontert souverän, zerlegt sachlich kühl die Argumente der grünen. „Und, wie war ich?“ wird Mast später leise von Lösekrug-Möller fragt. „Super!“ Es ist 21 Uhr 30. |
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