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Erinnerungskultur

Der Stolperstein-Effekt

Sie sollen an Opfer des Nationalsozialismus erinnern. Doch wie zuletzt in Kaiserslautern werden Stolpersteine beschädigt oder gestohlen. Die Gesellschaft reagiert darauf schockiert, aber auch kreativ.

(29.05.2025) Rund 120.000 „Stolpersteine“ erinnern mittlerweile in ganz Europa an Menschen, die Nationalsozialisten einst verfolgten, ermordeten. Meist wird der faustgroße Betonblock vor dem ehemaligen Wohnhaus des Opfers in den Boden eingelassen, eine Messingplatte nennt seinen Namen, Lebensdaten und letzten Verbleib. Damit soll „den gepeinigten Menschen ihr Name, ein Gesicht und ein Platz in der Mitte der Gesellschaft wiedergegeben“ werden, lautet das Ansinnen des Initiators und Künstlers Gunter Demnig und seiner 14 Mitarbeiter.

Als kürzlich in Kaiserslautern vier solcher Mini-Mahnmale in der Fußgängerzone mit roher Gewalt entwendet worden waren, sammelte die SWR-Journalistin Alexandra Dietz in einer Straßenumfrage die Meinung von Passanten dazu ein: „Es zeigt, wie es in unserer Gesellschaft aussieht“ oder „es ist widerlich“ lauteten Antworten. Eine junge Frau brach nach wenigen Worten in Tränen aus: „Ich finde es so schlimm! Mir und meiner Generation nimmt es jegliche Perspektive, wenn ich weiß: In der Gesellschaft, in allen Schichten, gibt es Leute, die andere so sehr verachten.“

Alle Passanten, die Dietz für die Umfrage angesprochen habe, empfand sie als sehr geschockt und angefasst von dem Diebstahl: „Sie haben diese Art der Erinnerung als extrem wichtig empfunden. Und dass es eigentlich noch viel mehr davon geben müsste.“

Kaum Stolpersteinstatistik

Anders sehen es offenbar Täter in Magdeburg, Lünen, Menden, Zeitz, Gotha, Cottbus, Weimar oder Forst in der Lausitz. In diesen Städten wurden allein in diesem Jahr bereits Stolpersteine entwendet oder beschädigt. Eine offizielle Statistik darüber ist kaum zu erhalten.

Denn Beschädigen oder Stehlen von Stolpersteinen ist in der Kriminalitätsstatistik für politisch motivierte Straftaten nicht „als bundesweit gültiger Katalogwert vereinbart“, wie eine Sprecherin des Bundeskriminalamts erklärt. So zählen beschädigte oder entwendete Stolpersteine zwar als politische Straftat, falls eine Ermittlungsbehörde davon Kenntnis erlangt. Höchstens über die Inhalte der Freitexte, die Ermittler zu den Straftaten formulieren, lässt sich – aber „nur durch händische Durchsicht“, wie es die Polizei Hamburg nennt – eine Straftat zu einem Stolperstein zurückverfolgen.

Meldestelle RIAS sieht Zunahme

So zählte das Bundeskriminalamt 2024 neun Diebstähle und 25 Sachbeschädigungen; Baden-Württemberg vier Stolpersteine, NRW sieben, Sachsen-Anhalt 18, Berlin „ein Fallaufkommen zum Nachteil von Stolpersteinen“ in Höhe von sechs im vergangenen Jahr. Niedersachsen erfasste 2024 Fälle „im unteren zweistelligen Bereich“, aber „ungefähr etwa doppelt so hoch wie noch im Vorjahr“. Mehrere Behördensprecher betonen die Ungenauigkeit der Erfassung. Ein Viertel der Landeskriminalämter gibt an, Stolperstein-Delikte gar nicht auswerten zu können oder erachtet es als zu hohen Aufwand.

Auch da, wo die Stolpersteine entstehen, lässt sich die Zahl nicht genau beziffern: „Wir ersetzen nicht mehr als insgesamt acht bis maximal zehn Stolpersteine im Monat, die sich diesen Fällen zuordnen lassen“, erklärt Katja Demnig, Stellvertreterin von Gunter Demnig und Geschäftsführerin seiner Stiftung. „Das ist vergleichsweise sehr wenig, wenn man bedenkt, dass inzwischen knapp über 120.000 Stolpersteine europaweit verlegt wurden.“

Die Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (RIAS) dokumentierten 102 antisemitische Vorfälle in Bezug auf Stolpersteine im vergangenen Jahr, wie tagesschau.de vor der Veröffentlichung kommende Woche erfuhr. 2023 waren es noch 70. Dazu zählten Beschädigungen, Beschmutzungen oder Entwendungen. Zugrunde liegen Meldungen durch Betroffene, Zeugen und andere Organisationen.

Falscher Pro-Palästina-Protest?

„Es lässt sich nicht empirisch mit Zahlen belegen“, sagt auch Nikolas Lelle von der Amadeu-Antonio-Stiftung, die antisemitische Vorfälle in Deutschland mit Hilfe von Pressemeldungen oder Informationen von Initiativen und Projekten dokumentiert. „Mein Eindruck ist aber, dass solche Vorfälle in den vergangenen anderthalb Jahren zugenommen haben.“ Für Lelle sei das erschreckend: „Allein schon deshalb, weil es in einem größeren gesellschaftlichen Klima steht, in dem antisemitische Straftaten, Schmierereien, Parolen immer mehr im Stadtbild sichtbar werden.“

Warum machen die Täter das? Auch das schwer zu beantworten: Bislang sind kaum Täter identifiziert worden, somit bleiben auch ihre Beweggründe unbekannt. Wenn, dann gehörten sie dem rechtsextremen Milieu an, wie 2015 junge Leute Anfang 20, die in Salzburg verurteilt wurden. „Es geht um Neonazis, die Erinnerungskultur schlimm finden; die einen Schlussstrich ziehen wollen unter dem, was die Vergangenheit ist; die etwas tun wollen gegen diese Erinnerung an die Opfer der Shoah und die Opfer des Nationalsozialismus“, vermutet Lelle. „Es ist der Rechtsruck der Gesellschaft, der auch hier Ausdruck findet.“

Könnte Beschädigung und Diebstahl von Stolpersteinen auch öfter eine falsche Art eines Pro-Palästina-Protests gegen Israels Reaktion auf den Hamas-Angriff vom 7. Oktober 2023 ausdrücken? In Zeitz in Sachsen-Anhalt etwa verschwanden ausgerechnet am ersten Jahrestag des Angriffs zehn Stolpersteine.

„Wir sehen dieses Problem in Gedenkstätten. Es ist selten, aber wir erleben durchaus auch, dass die Erinnerungskultur von der linken Seite angegriffen wird“, sagt Lelle. Die Pseudo-Logik dahinter: Die deutsche Erinnerungskultur würde Israels Handeln legitimieren. „Also wird sie mitangegriffen, weil diese Erinnerungskultur als etwas erscheint, das so zusagen ‚von oben‘, etwa über den Begriff ‚deutsche Staatsräson‘, oktroyiert sein soll“, versucht sich Lelle in die Köpfe mancher Täter zu versetzen.

„Dennoch: Wenn auf Stolpersteinen Parolen standen, stammten sie fast alle aus dem rechtsextremen Milieu. Es gibt nur einen Fall, bei dem ‚BDS‘ auf dem Stein stand“, sagt Lelle. BDS steht für „Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen“, eine internationale Kampagne, die ein akademischen, kulturellen und wirtschaftlichen Boykott des jüdischen Staates Israel fordert.

Initiative von unten gibt Antwort

Wer mit seinem Handeln Erinnerungskultur zu verhindern versuchte, erreicht offenbar eher das Gegenteil, einen ‚Streisand-Effekt‘ – jenes Phänomen, bei dem ausgerechnet erst der Versuch, eine Information zu tilgen, die öffentliche Aufmerksamkeit darauf lenkt. Nun ist es der ‚Stolperstein-Effekt‘: Auf den Diebstahl von Zeitz folgten mehr Spenden als für den Ersatz benötigt; in Berlin und Leipzig fertigten Menschen Repliken aus dem 3D-Drucker; und Schulen nahmen die Vorfälle in ihrer Stadt zum Anlass, sich im Unterricht des Themas anzunehmen. Lebendige Erinnerungskultur.

„Das hat viel damit zu tun, was diese Stolpersteine sind: Es ist eine Erinnerungskultur von unten“, findet Sozialphilosoph Lelle. Zwar beruhe die Idee des Stolpersteins auf der Idee Demnigs, also auf der Initiative eines einzigen Künstlers. „Aber er kommt nur, wenn ihn eine lokale Initiative vor Ort ruft, sich mit der Geschichte der Opfer ausgiebig befasst, recherchiert, Geld sammelt. Deshalb überrascht mich auch nicht, dass diese Initiative von unten wieder eine starke Antwort gibt, wenn Stolpersteine rausgerissen werden.“

Auch in Kaiserslautern kam es zu dieser Antwort: Etwa 30 Teilnehmer einer „Critical Mass“-Aktion machten den Ort der verschwundenen als auch der übrigen Stolpersteine der Stadt zu Etappenzielen, erfuhren in kleinen Vorträgen deren geschichtliche Hintergründe. Repliken aus dem 3D-Drucker sind auch schon in der Mache. Und mehrere Spender haben bereits zugesichert: Sie bezahlen die vier neuen Steine.

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Letzte Aktualisierung: 29.5.2025

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