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Werbeverbot für Tabakwaren

Nikotin nur auf Nachfrage

Mal schnell Zigaretten holen – in den Niederlanden kein leichtes Unterfangen: Tabakwaren sind schwer zu finden, jegliche Art der Werbung untersagt. Ein Vorbild für Deutschland, das vor 50 Jahren seine Rauchfrei-Politik startete?

(18.08.2024) Die Sandschäufelchen in knallgrün, die Postkarten meerblau, die Zeitschriften in allen Regenbogenfarben: Es ist bunt in diesem Reisebedarfsladen im niederländischen Renesse. Nur an einer Stelle nicht: Hinter der Ladentheke steht wuchtig eine graufahle Schrankwand, die so gar nicht die Blicke auf sich ziehen vermag – ohne Beschriftung, ohne Werbung. Was nach Aktenschrank in einer trostlosen Behörde ausschaut, birgt dutzende Zigarettenschachteln.

Der Ladenbesitzer öffnet eine Tür. Statt rot verpackten Zigaretten aus Frankreich oder gelblich schimmernden Kartons mit Dromedaren darauf kommen einheitliche Päckchen zum Vorschein, teerschwarz wie manche Raucherlunge, darauf in der immer selben Schriftart die einzelnen Markennamen. Immerhin: Die sogenannten Schockbilder – freigelegte Raucherlungen oder blutleere Gesichter von Krebspatienten – liefern etwas Farbe.

Keinen Funken Werbung

So sieht es aus, das Werbeverbot für Tabakwaren. Nichts darf Interesse wecken. „Sie wollen mit allen Mitteln die Leute dazu bringen, mit dem Rauchen aufzuhören“, erklärt der Ladenbesitzer und runzelt einen Moment lang die Stirn darüber, ob das Sinn hat, was die Politik in Den Haag da macht.

Ja, lautet die Antwort, wenn es nach dem Europa-Direktor der Weltgesundheitsorganisation Hans Henri Kluge geht. Die Niederlande seien „Vorreiter bei der Bekämpfung des Tabakkonsums“. Die Regierung möchte bis 2040 eine „rauchfreie Generation“, nur noch fünf Prozent Raucher. Deshalb darf nichts auch nur den Hauch eines Kaufreizes auslösen, seit 1. Juli dürfen Tabakwaren nur noch in wenigen Geschäften und Tankstellen verkauft werden, mehr als 6.000 Supermärkte und Kioske strichen nikotinhaltige Genussmittel aus ihrem Sortiment.

Zum "in die Luft" gehen?

Die Folge: Vor allem in ländlichen Regionen gibt es Tabak erst in der nächsten oder übernächsten Ortschaft. Und muss von Ortsfremden dort erst einmal gesucht werden – denn auch Hinweisschilder über dem Geschäftseingang könnten als Werbung verstanden werden. Schon seit zwei Jahren dürfen Läden ihre Tabakwaren auch nicht mehr sichtbar im Schaufenster oder in der Auslage an der Kasse bewerben. Nikotin nur auf Nachfrage, aus blickdichten Schränken und Schubladen.

Mancher deutsche Tourist, der den Genuss seines Poffertjes mit einem Glimmstengel abzurunden gedenkt, könnte dabei schnell zum „Bruno“ werden, jener Werbefigur aus der Wirtschaftswunderzeit und bekannt als „HB-Männchen“, die in gezeichneten Werbespots nach unterschiedlichem Alltagsungemach „in die Luft ging“, wie es die sonore Sprecherstimme erklärte, und danach die Ruhe allein in Haus Bergmanns Glimmstängel wiederfand.

Lange politische Geschichte

Genau solchen Aussagen, die das Rauchen verharmlosen oder gar als gesundheitsförderlich darstellten, schob das „Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz“ einen Riegel vor. Keine Tabakwerbung mehr in Radio und Fernsehen. Heute vor 50 Jahren, am 15. August 1974, unterzeichnete die damalige Gesundheitsministerin Katharina Focke, SPD, das Verkündungsdokument des Gesetzes. Vorausgegangen waren heftige Debatten zwischen Regierung und Opposition.

Hugo Hammans von der CDU beispielsweise sprach von der Vorbildfunktion und wandte sich in seiner Bundestagsrede an die vielen rauchenden Kabinettsmitglieder. Focke war zwar Kettenraucherin, gewöhnte sich aber ihre Sucht mit Amtsantritt eigens ab. Ihr Kanzler aber, Helmut Schmidt, blieb dennoch bis zu seinem Lebensende leidenschaftlicher Raucher und in dieser verqualmten Hinsicht kein Vorbild. Ein Werbeverbot hingegen, unkte der gelernte Pädagoge Hammans damals, werde „keinen Jugendlichen vom Rauchen abhalten“.

Die Nikotinfreiheit der Andersdenkenden

Studien widerlegten Hammans These. Demnach erhöhe Zigarettenwerbung bei Jugendlichen das Risiko, mit dem Rauchen anzufangen. Trotzdem verhielt sich die deutsche Politik in den folgenden Jahrzehnten eher zaghaft, wenn es um striktere Tabak-Werbeverbote ging – etwa im Kino, auf Plakatwänden oder in Zeitungen und Zeitschriften.

2014 noch scheitert die Bundesdrogenbeauftragte Marlene Mortler, CSU, mit einer Verschärfung; zwei Jahre später eine vom Kabinett bereits beschlossene Initiative. 2021 tritt dann ein Verbot von Tabakwerbung in Kinos in Kraft – zumindest, wenn der jeweilige Film nicht „ab 18“ freigegeben ist. Erst Anfang dieses Jahres werden auch Plakatwände und Bushaltestellen komplett nikotinfrei.

„Weiterhin dringender Handlungsbedarf“

„Die Werbung für Tabakwaren, E-Zigaretten und Tabakerhitzer ist nahezu vollständig verboten“, schildert Bernd Nauen, Geschäftsführer des Zentralverbands der deutschen Werbewirtschaft. Nur noch am Verkaufstresen sei Werbung machbar. Für seine Branche ein Problem, denn: „Für die Hersteller existieren lediglich am ‚Point of Sale‘ noch minimale Möglichkeiten, um das zu machen, was Werbung leistet: gegenüber dem Konsumenten dieser Erzeugnisse um Marktanteile zu konkurrieren.“

Ganz so sei es nicht, setzt die Deutsche Krebshilfe dem entgegen: „Aus Sicht der Deutschen Krebshilfe besteht weiterhin dringender Handlungsbedarf“, fordert Vorstandsvorsitzender Gerd Nettekoven. Rauchen sei für 90 Prozent aller Lungenkrebsfälle in Deutschland verantwortlich. Trotzdem finden sich in Biergärten noch immer Sonnenschirme mit Zigaretten-Logos, Influencer beschäftigen sich mit Tabakgenuss. „Wir fordern daher von der Bundesregierung, Werbung, Promotion und Sponsoring für Tabak- und Nikotinprodukte vollständig zu verbieten sowie die Verfügbarkeit von Tabakprodukte und E-Zigaretten sowie verwandte Produkte konsequent weiter einzuschränken.“

„Zunehmende Bevormundung?“

Lob deshalb für die Niederländer: „Deutschland gehört zu den europäischen Schlusslichtern bei der Tabakkontrolle. Wir nehmen in Kauf, dass jedes Jahr 85.000 Menschen als Folge des Rauchens an Krebs erkranken, 127.000 Menschen am Tabakkonsum sterben und der Gesellschaft durch tabakbedingte Krankheiten Milliarden Euro an Folgekosten entstehen“, ärgert es Nettekoven. „Aktuell liegt noch ein weiter Weg vor uns, aber wir werden uns auch weiterhin beharrlich für Maßnahmen einsetzen, die dabei helfen, dass Krebs möglichst gar nicht erst entsteht.“

Jan Mücke vom Bundesverband der Tabakwirtschaft und neuartiger Erzeugnisse (BVTE) kann den niederländischen Restriktionen durchaus auch etwas abgewinnen: „Immer mehr Raucher aus unserem Nachbarland sind die zunehmende Bevormundung leid und fahren zum Einkauf von Zigaretten lieber über die Grenze.“ Von dem „niederländischen Politikmix aus hohen Steuern, Verkaufsverboten und Einheitsverpackungen“ profitiere in erster Linie der grenznahe Tabakwarenhandel in Deutschland. Tatsächlich meldeten deutsche Tankstellen entlang der Grenze zu den Niederlanden mehr Tabakkundschaft.

Rauchfreies Schweden als Vorbild

Dieser Marktvorteil ist übrigens nicht ewig gesichert: Stichwort „Europäischer Plan zur Krebsbekämpfung“. Die EU-Kommission möchte damit auch die Krebsprävention stärken und vor allem Tabakkonsum ins Visier nehmen.

„Bei Konsumenten in Deutschland dürften weitere Gängelungen und Einschränkungen ebenfalls nicht zu einem Rauchstopp führen, sondern eher Ausweichbewegungen auch in Richtung Schwarzmarkt fördern“, schätzt Mücke. Bereits heute sei jede fünfte Zigarette, die hierzulande geraucht wird, nicht in Deutschland versteuert.

„Snus-Epidemie“

Vielmehr als Vorbild eigne sich für Mücke statt den Niederlanden Schweden: „Statt hoher Tabaksteuern, Einheitsverpackungen und umfassender Werbeverbote unterstützt Schweden den Umstieg auf deutlich weniger schädliche rauchfreie Nikotinprodukte wie Snus, tabakfreie Nikotinbeutel oder E-Zigaretten.“ So kann sich Schweden zwar bald „rauchfrei“ nennen, weil nur noch fünf Prozent der Bevölkerung rauchen.

Allein: Rauchfrei ist nicht gleich nikotinfrei. Auftritt „Snus“, kleine Nikotinbeutel für den Mund. Helen Stjerna, Leiterin der schwedischen Nichtregierungsorganisation „A Non-Smoking Generation“ spricht bereits von einer „Snus-Epidemie“: „Dass Schweden dabei ist, rauchfrei zu werden, ist ein Narrativ, das von der Tabakindustrie geschaffen wurde.“ Schon ein Kind könne in sozialen Medien bis zu sechs Beutel kostenlos bestellen, was ausreicht, um es süchtig zu machen.

Die Verkaufs- und Werbenot macht die Tabak-Branche offensichtlich erfinderisch. Und es wird noch mehr Kreativität gefragt sein: In acht Jahren dürfen in den Niederlanden nur noch Fachgeschäfte allein Tabakwaren verkaufen. Dann wird auch in Renesse der fahle Aktenschrank mit seinem teerschwarzen Inhalt verschwinden.

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Letzte Aktualisierung: 9.10.2024

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