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Illegale Rennen und Raser-Unfälle

Wie ‚Raserdeure‘ bremsen?

Statistisch kommt es jeden Tag fünf Mal zu einem illegalen Rennen auf Deutschlands Straßen – oftmals mit schweren Folgen für schwächere Verkehrsteilnehmer. Gegen Selbstüberschätzung sehen Fachleute wenige Mittel, die Politik widmet sich lieber der Freiheit von Autofahrern.

(21.07.2024) „Baby“, „Schorschi“ oder „die fette Elke“: Jeder dritte Autobesitzer gibt seinem Auto einen Namen, so ein Ergebnis einer Umfrage der Tankstellenkette HEM unter fast 3.000 Personen. „Des Deutschen liebstes Kind“, wie der Volksmund sagt, wird personalisiert, individualisiert, ein Familienmitglied. Dabei reicht manchen Autoenthusiasten kein Auto von der Stange, vom Fließband. „AMG“, „Brabus“ oder „Alpina“ lauten Namen sogenannter „Tuner“, „Performance-Marken“ oder „Veredeler“.

Mehr als 50.000 solcher Fahrzeuge werden laut aktueller Branchenstudie im Jahr zugelassen. Doppelauspuff, Breitreifen, mehr Leistung unter der Motorhaube: So erzielen Hersteller und Tuning-Ausrüster sechs Milliarden Euro Umsatz im Jahr.

Doch der Reiz an der automobilen Individualität macht nicht an der Stoßstange mit Racinggitter halt: Auch der eigene Fahrstil soll sich abheben, im Straßenverkehr eine persönliche Note hinterlassen. So sehr die Branche es auch immer wieder betont, dass „dieser Markt zu über 95 Prozent von Personen geprägt wird, die sich ganz eindeutig von der Poser- oder Raser-Szene abgrenzen“, und Harald Schmidtke vom Verband der Automobiltuner appelliert, „die Randgruppe der Poser und Raser sollte nicht mit der ‚Tuningszene‘ gleichgesetzt werden“ – so selten sind bescheidene Klein- oder Mittelklassewagen auf Fotos von Unfällen zu sehen, die mit einer mutmaßlichen Raser-Tat in Verbindung gebracht werden.

Momentaufnahmen allein aus diesem Jahr, ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Hamburg, Fahrer 19 Jahre jung, Mercedes-AMG mit 612 PS: ein Toter. Dortmund, Fahrer 19, die PS des BMW sind unbekannt: ein totes Kind. Frankfurt, Mercedes-AMG mit mehr als 600 PS: ein Schwerverletzter. Kiel, Fahrer unbekannt, Audi S8 mit 571 PS: Sachschaden. Herford, Fahrer 19, Mercedes-AMG, PS unbekannt: Sachschaden. Hamburg, Fahrer 19, Mercedes-AMG mit 639 PS: Sachschaden. Kassel, Fahrer 25, Mercedes-AMG, PS unbekannt: zwei Schwerverletzte.

Eine Marke, die in diesem Zusammenhang auffällt, ist Mercedes-AMG. „Ein Verhalten, das andere Verkehrsteilnehmer gefährdet, verurteilen wir aufs Schärfste. Sicherheit ist ein zentrales Element unserer Marke“, sagt Unternehmenssprecher Felix Siggemann und verweist auf Assistenzsysteme wie einen Bremsassistenten mit Fußgängererkennung. Modellabhängig biete Mercedes-AMG einen sogenannten „Fahranfänger-Modus“ an, der die Beschleunigung einschränke. Aber: „Auch hochmoderne Assistenzsysteme agieren innerhalb der physikalischen Grenzen.“

Raser sind vor allem junge Männer – 19, Anfang 20. „Für einen Teil definiert die Stärke des Autos ein eigenes Machtgefühl, die anderen unterschätzen schlichtweg mögliche Gefahren“, sagt Kirstin Zeidler, Leiterin der Unfallforschung der Deutschen Versicherer. Geltungs- und Geschwindigkeitssucht schalten dann anscheinend das Gehirn in den Leerlauf, Gefahr für sich und andere sowie drohende Strafen erreichen nicht mehr das Verantwortungsbewusstsein.

Wie diesen ‚Raserdeuren‘ Herr werden? Seit 2017 gilt, wer ein verbotenes Kraftfahrzeugrennen ausrichtet, durchführt oder daran teilnimmt, wird mit Geldstrafe oder bis zu zwei, bei schweren Personenschäden mit bis zu zehn Jahren Haft sanktioniert.

Ausgebremst hat dieses Gesetz Raser nicht: Das Kraftfahrbundesamt zählt 1.733 illegale Autorennen vergangenes Jahr, unter ihnen auch sogenannte „Alleinrennen“, bei dem der Fahrer ohne Konkurrenten raste. Und nicht jedes Rennen wurde aktenkundig.

„Bei Rasern und Posern handelt es sich um eine kleine Minderheit, die in einer Art Parallelwelt lebt und sich von gesellschaftlichen Konventionen und Normen verabschiedet hat“, beschreibt Wolfgang Fastenmeier, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Verkehrspsychologie (DGVP), jene Klientel.

Also den fahrbaren Untersatz unterm Bleifuß wegziehen? Auch die deutsche Gesetzgebung ermöglicht den Einzug von Kfz, die in ein illegales Autorennen verwickelt waren. Doch wie oft griff die Justiz zu diesem Mittel? Diese Zahl kennt das Bundesjustizministerium nicht. Das Pendant in NRW, 2023 Austragungsort von 330 illegalen Autorennen, teilt mit, es liegen keine statistisch belastbaren Daten vor. Aus der Justizministerkonferenz heißt es, es „bedürfte einer händischen Auswertung sämtlicher in Betracht kommender Akten“.

Einzelne Staatsanwaltschaften haben sich die Arbeit gemacht. In Berlin etwa, mit 143 illegalen Auto-Rennen im vergangenen Jahr, geht Oberstaatanwalt Sebastian Büchner von 25 Einziehungen aus, davon wohl fünf unter Vorbehalt mit der Anweisung an den Verurteilten, das Fahrzeug zu veräußern.
Bemerkenswert: Es sind 25 Einziehungen seit 2017! „Denn in 70 bis 80 Prozent der Fälle nutzen Täter Fahrzeuge, die nicht ihr Eigentum sind, insbesondere Mietfahrzeuge oder solche von Carsharing-Unternehmen“, erklärt Büchner. Der Nachweis leichtfertigen Handelns des Vermieters sei kaum zu erbringen.

„Zumal viele, auch unseriösere, Autovermieter im Mietvertrag ausdrücklich zum sorgsamen Umgang mit dem Mietfahrzeug ermahnen.“ Oft seien die Fahrzeuge auch darlehensfinanziert, Eigentümer also die Bank.

Ist der Täter dann doch mal Eigentümer, sei er oft auch Ersttäter. Das wirke sich auf die Verhältnismäßigkeit der Einziehung aus, schildert Büchner. „Was letztlich – kurz gesagt – darauf hinausläuft: ‚Je teurer das Auto, desto geringer die Einziehungswahrscheinlichkeit‘.“

Könnte sich die Politik nicht mit mehr brüsten? Österreich geht diesen Weg seit März, entzieht Rasern das Fahrzeug, wenn sie 60 km/h innerorts und 70 km/h außerorts zu schnell sind. Nach einer Prüfung, wie sich der Raser bisher verhalten hat, droht ihm die Versteigerung seines Autos. Die österreichische Bundespolizei nahm so seit März bereits 64 Kfz von der Straße – zumindest vorläufig, bis ein Gericht sich mit der Angemessenheit befasst hat.

Samson Sandrieser-Leon, Sprecher des Mobilitätsministeriums in Wien, sieht bereits einen positiven Effekt: „Für eine valide und substantielle Analyse der neuen Regeln braucht es in unseren Augen noch etwas Zeit – die Maßnahmen sind ja erst mit 1. März in Kraft getreten. Die ersten Erfahrungen sind aber durchweg positiv.“ Gleichzeitig mit dem Gesetz sei die Zahl schwerer Unfälle aufgrund überhöhter Geschwindigkeit gesunken.

Ähnlich verfährt Dänemark seit mittlerweile drei Jahren und das Verkehrsministerium in Kopenhagen meldet stolz rund 3.000 beschlagnahmte Fahrzeuge, unter ihnen aber auch Fälle von Alkoholfahrten ohne Raserei. Ernüchternd hingegen die Statistik der Schweiz: Seit elf Jahren haben Gerichte dort die Möglichkeit, das Fahrzeug einzuziehen und zu verkaufen. Dennoch stieg in dieser Zeit die Zahl der Delikte.

Raser scheinen Gesetz und Strafe als Schikanen auf der Rennstrecke zu sehen. Nur: Es gibt bei Fahrfehlern keine Auslaufzonen mit Kiesbett, in denen stehen auch keine ahnungslosen Wehrlosen.

Fachleute sehen einen Ansatz darin, mögliche Raser im Vorhinein einzubremsen. Das reicht von mehr Polizeikontrollen mit persönlicher Ansprache bis hin zu umfangreicher Verkehrspädagogik wie „Crash Kurs NRW“: Einsatzkräfte aber auch Hinterbliebene oder Ersthelfer besuchen Schulen und Berufskollegs, schildern jungen Menschen Szenen, die sie bei schweren Verkehrsunfällen erleben mussten.

Unfallforscherin Kirstin Zeidler sieht mehr stationäre Geschwindigkeitskontrollen auf für illegale Rennen berüchtigten Straßen: „Wenn alle paar hundert Meter ein Blitzer steht und über die Stadt verteilt mobile Geräte, ließen sich Raser schneller aus dem Verkehr ziehen.“ Einen ähnlichen Effekt könnten „Drempels“ haben, kleine Hügel über die Fahrbahnbreite, die in den Niederlanden üblich sind: „Je nach dem, auf welches Tempolimit sie ausgelegt sind, kann man beispielsweise mit 50 Stundenkilometern gut drüberfahren, schneller wird es äußerst ungemütlich. Doch das kann für Rettungswagen problematisch werden.“

Oder wie wäre es mit einem extra Führerschein? Autos mit einer höheren Leistung dürften nur mit entsprechender Prüfung gelenkt werden. Klingt unrealistisch? Bei Motorrädern ist das seit 1986 üblich: Ohne Probezeit, Mindestalter, längere Zeit im Führerscheinbesitz gibt es nicht mehr Leistung – obwohl der Motorradfahrer ohne Knautschzone selbst seine Fehler zu spüren bekommt, während PS-gestärkte Mobilisten meist schwächere Verkehrsteilnehmer verletzen oder gar töten.

„Warum soll man die jungen Fahrer insgesamt reglementieren?“, wirft Verkehrspsychologe Fastenmeier ein. „Sinnvoller wäre also, zum Beispiel die Vermietung der beliebten Boliden an ein Mindestalter zu knüpfen. Allerdings gibt’s dann natürlich wieder Schlupflöcher, insofern sehe ich an sich wenig Möglichkeiten.“

Karina Delli, Vorsitzende im EU-Verkehrsausschuss, stellte im Herbst einen Entwurf für die neue EU-Führerscheinrichtlinie vor. Darin vieles, was Raser-Unfälle vielleicht hätte verhindern können. Zwar hatte Delli dabei SUV im Auge, die deutlich mehr auf Deutschlands Straßen unterwegs sind, aber mit ihrer Masse und Leistung ähnliche Unfallfolgen haben.

PS-Protze hätte der Entwurf ausgebremst: Pkw-Führerschein Klasse B nur für höchstens 1,8 Tonnen schwere Fahrzeuge; wer es schwerer haben möchte, sollte einen Führerschein „B+“ machen und mindestens 21 Jahre alt sein. Und: Fahranfänger sollten höchstens 90 km/h schnell fahren dürfen.

Doch die Kritik kam im Rasertempo: Bundesverkehrsminister Volker Wissing, FDP, twitterte, er lehne die Änderungsanträge „entschieden ab“. Rote Bremslichter sogar von den Dellis grünen Parteifreunden in Deutschland: Der Extraführerschein für SUV gehe „komplett an der Realität der Leute vorbei und ist Unsinn“, sagte Grünen-Bundesvorsitzender Omid Nouripour der Augsburger Allgemeinen. Thomas Bareiß, verkehrspolitischer Sprecher der Union, sprach dennoch generell vom „Elfenbeinturm mancher grüner Politiker“.

Derweil spielte Dellis Anspruch an die Novelle nicht hoch oben in einem Turm, sondern ganz unten am Boden, in den Straßengräben und auf den Fußgängerüberwegen: Nach dem Unfall in Dortmund Ende Juni starb ein elf Jahre alter Junge. Er ging bei grün über die Straße, als ihn der Raser totfuhr.

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Letzte Aktualisierung: 9.10.2024

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