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Migrationspolitik

Kusels Angstgehirn

In vielen Ortschaften äußern Bürger derzeit Befürchtungen und Protest, wenn Unterkünfte für Asylsuchende eingerichtet werden. Das rheinland-pfälzische Kusel ist an eine solche Einrichtung schon seit Jahren gewöhnt. Trotzdem gehen Bürger nun auf die Straße.

(05.10.2023) Es sind kleine, aber schmucke Einfamilienhäuser, die entlang der Haischbachstraße von Kusel stehen. Was hier, 40 Kilometer nordöstlich von Kaiserslautern in der Westpfalz, der Quadratmeter Grundstück weniger kostet als in Deutschlands Ballungszentren, konnten die Anwohner offenbar in propere Eigenheime mit sauber gepflasterten Garageneinfahrten stecken. Am Ortsrand gelegen wirkt es, als würde die Haischbachstraße hin zu nicht mehr als ein paar Wiesen und letztendlich in ein Waldstück des Nordpfälzer Berglands führen.

Wären da nicht immer wieder Menschen, die am Morgen einzeln oder in kleinen Gruppen von jenen Wiesen die Haischbachstraße wie auch deren Parallelstraßen bergab Richtung Ortszentrum laufen und mit einfacher Kleidung und ausländischer Anmutung nicht zum Gesamtbild der Szenerie passen. Es sind Menschen vor allem aus Afghanistan, dem Süd-Sudan oder Syrien. Sie kommen aus der Aufnahmeeinrichtung für Asylbegehrende, kurz: AfA. Die steht dort oben auf dem Windhof, jener Anhöhe, zu der die Haischbachstraße hinaufführt.

Wo früher Bundeswehrsoldaten der 2013 aufgegeben Unteroffizier-Krüger-Kaserne auf Befehle warteten, sind es nun Männer, Frauen und Kinder, die ihre Zeit oftmals bis zu 18 Monate absitzen – so lange können Asylbescheide auf sich warten lassen. Und so lange geben ein Dutzend Kasernenhausblöcke mit nicht allzu attraktiv zu empfindender Architektur sowie eine Turnhalle 800 Menschen Dächer über den Kopf.

Geht es nach den Plänen der Landesregierung von Rheinland-Pfalz, sollen in Zelten 200 Asylbegehrende mehr hier aufgenommen werden. Damit kämen dann 1.000 Fremde auf nahezu 5.000 Einwohner.

Von jenen Einwohnern zogen mehrere Hundert am vorigen Montagabend durch die Kuseler Innenstadt. Menschen, die verfolgt werden, Asyl zu geben, sei absolut richtig und nicht verhandelbar, lautete der Tenor. Aber wenn die Akzeptanz dafür schwinde, sei das nicht Sinn der Sache. Vorgekommen sei bisher nichts Großes, nein, aber das Stadtbild habe sich sehr zum Schlechten verändert und viele klagten über ein ungutes Gefühl, bei Dunkelheit in der Innenstadt oder zum Bahnhof unterwegs zu sein.

Dass Einwohner von Unsicherheit bis hin zu Angst verspüren, sobald eine Unterkunft für Geflüchtete in ihrer Gemeinde eingerichtet werden soll, ist derzeit in vielen Gemeinden der Fall. In Kusel überrascht: Die Menschen hier sind eine solche Einrichtung schon gewohnt. Seit acht Jahren gehören die Menschen vom Windhof zum Ortsbild. Im Sommer 2015, als der sogenannte „Flüchtlingsstrom“ Deutschland erreichte, wurde hier hektisch die zunächst provisorische Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbegehrende eingerichtet.

Seitdem verzeichnen die Behörden keine Auffälligkeiten in der Kuseler Kriminalitätsstatistik, sie fällt besser aus als im Landesdurchschnitt. Dieses Jahr dürfte in Kusel allein „ein leichter Anstieg im Bereich des Ladendiebstahls zu erwarten sein“, teilt das zuständige Polizeipräsidium Westpfalz mit. Und: „Die aktuelle subjektive Verunsicherung von Teilen der Bevölkerung weicht jedoch von der objektiven Kriminalitätslage ab.“

Für den Angstforscher Borwin Bandelow, Senior Scientist an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Göttingen, kommt das nicht überraschend: „Das ist ein bundesweiter Trend. Nicht nur in Kusel haben die Menschen sehr viel Angst davor, dass uns Migration über den Kopf wächst.“ Denn während die Kuseler Aufnahmeeinrichtung existierte, gab es mal Angst vor Corona, mal vor Donald Trump oder dem Ukraine-Krieg.

Nun sei laut Bandelow aber die Angst vor Geldverlust infolge steigender Preise vorherrschend. Und Angst schürt dabei nicht nur der Niedrigstand im eigenen Geldbeutel: „Hinzu kommt die Angst, dass Migration generell zu viel Geld kostet, auch weil nicht nur die anerkannten Asylbewerber, sondern auch die abgelehnten im Land bleiben. Die Menschen denken an die finanziellen Grenzen der Kommune.“

Bandelow unterscheidet zur Veranschaulichung oft zwischen dem intelligenten „Vernunftgehirn“, dem mit rationalem Abwägen ausgestatteten Gegengewicht zum unlogischen „Angstgehirn“, das in einer Krise die Vernunft teilweise ausschalte.

Wenn nun die Menschen aus der AfA Kusel die Haischbachstraße herunterlaufen, nährten sie jenes Angstgehirn gezwungenermaßen zweifach: Sie tangierten auch das Heimatgefühl, das in Krisen Menschen Halt gibt. „So entsteht natürlich die Angst, dass sich unsere Kultur ändert – dadurch, dass immer mehr Migranten kommen, wo es eigentlich jetzt schon zu viele sind“, erklärt Bandelow. „In einer Kleinstadt wie Kusel, die Geflüchtete von oben oktroyiert bekommt, ist diese Angst natürlich stärker ausgeprägt.“

Kusels Bürgermeister Jochen Hartloff, SPD, sah sich die Demonstration an auf dem Marktplatz vor dem Rathaus: "Es waren viele Leute, die tatsächlich Angst und Furcht empfinden.“ Er stehe den Bürgerinnen und Bürgern für Gespräche zur Verfügung, überlege auch, eine Art „Runden Tisch“ einzurichten, an den Multiplikatoren wie die örtlichen Gewerbetreibenden und Politik von Stadt und Land zusammenkommen.

Dabei wird er das Vernunftgehirn der Menschen von Kusel wohl mit Fakten stärken müssen gegen Gerüchte, die mit dem Angstgefühl spielen und derzeit aufkeimen in Kusel: In Internetforen ist von versuchten und vollzogenen Vergewaltigungen die Rede, einem Einbruch von Asylsuchenden oder von einer Messerstecherei auf dem Volksfest des Ortes.

Bürgermeister Hartloff, ehemaliger Justizminister von Rheinland-Pfalz, kennt jene Texte und kontert sie mit der Faktenlage: „Bei dem Einbruch wurde nichts gefunden, was auf einen Zusammenhang mit der AfA schließen lässt; die Messerstecherei hatte weder etwas mit der AfA noch mit dem Fest zu tun; eine angeblich versuchte Vergewaltigung war Exhibitionismus – ich kenne die Frau, der das passiert ist.“

Solche Ansprache auf Grundlage von Fakten ist zwar der richtige Ansatz, um das Vernunftgehirn zu stärken, wie Bandelow findet. Viel Hoffnung macht er aber nicht: „Wenn die Angst zu groß wird, rauschen die Fakten einfach an den Leuten vorbei. Angst ist nicht gut in Statistik.“

Vielmehr könnte helfen, die Menschen aus der Aufnahmeeinrichtung den Menschen aus Kusel näherzubringen – beispielsweise durch gemeinsame Sportveranstaltungen oder bei einem Straßenfest: „Dabei werden viele feststellen, dass sehr viele Asylsuchende an Integration interessiert sind und eben nicht feindlich gesinnt.“

Das nimmt Angst. Ebenso, wenn nicht nur die verantwortlichen Politiker, sondern auch Asylsuchende auf Bürgerinformationsveranstaltungen zu Wort kommen und sich so beispielhaft für die anderen Asylsuchenden präsentieren können. In Kusel steht eine solche Veranstaltung, die den Bürgern Ängste vor mehr Asylsuchenden im Ort nehmen kann, noch aus. „Da warte ich auf das Land“, erklärt Hartloff.

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Letzte Aktualisierung: 28.3.2024

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