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Sendedatum: 30.03.2010 • Format, Länge: für ARD-Mittagsmagazin, 2:37 • Sender: ARD

Der Missbrauchsbeauftragte der Bischofskonferenz, der Trierer Bischof Ackermann, hat heute eine bundesweite Beratungs-Hotline für Opfer sexuellen Missbrauchs gestartet. Fachleute sollen dabei den Opfern als Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Welche innere Hölle die Opfer noch durchleben mussten, nachdem sie missbraucht wurden, zeigt die Geschichte einer Frau aus Rheinland-Pfalz.

In diese Welt hat sich Pia Nachtsheim zurückgezogen - über Jahre hinweg. Hier arbeitet sie an ihren Bildern. Und an sich und an ihrem Trauma: Ein Küster missbrauchte sie und folterte sie - damals, in der Nachkriegszeit, als die Mutter sie zum Duschen in die Schule schickte, weil ihre Familie kein eigenes Bad hatte. Fast ein halbes Jahrhundert ist das her. Ihre Seele blute, sagt sie. Immernoch, wegen eines Mitarbeiters der Kirche.

O-TON Pia Nachtsheim, Opfer sexuellen Missbrauchs: "Die ganzen Grenzen waren irgendwie verwischt, weil: Man hat uns ja da hingeschickt, damit wir in guter Obhut sind, und der hat da so ein Schindluder mit uns gemacht. Der hat seine Macht gnadenlos missbraucht!"

Die erste Tat begab sich ungefähr zu der Zeit, als dieses Familienfoto entstand. Opfer der jahrelangen Peinigung damals auch ihr kleiner Bruder. Er kam nie über sein Schicksal und das seiner Schwester hinweg. Vor drei Jahren nahm er sich das Leben. Pia Nachtsheim lässt ihn in ihrer Malerei weiterleben - um ihr Schicksal endlich zu verkraften.

O-TON Pia Nachtsheim, Opfer sexuellen Missbrauchs: "Ich werds nicht los! Es ist einfach immer drin! Es ist wie bei einem Einbruch: Es ist nicht ein bisschen eingebrochen worden. Der Einbruch hat stattgefunden und er hat stattgefunden in meiner Persnölichkeit. Und in einer Zeit, in der die noch am weichesten ist, am sensibelsten ist: mit vier Jahren!"

Der Missbrauch wurde durch einen Küster begangen. Die Tat zerstörte ihr Leben, weil sie Liebe danach nicht wie andere erleben konnte. Und dennoch: Pia Nachtsheim verlor nicht den Glauben an Gott, sondern an die Kirche. Trotzdem stellt sie Kirchenleute nicht unter Generalverdacht.

O-TON AUS DEM OFF: "Für mich hat die Institution Kirche an sich nichts mit Gott zu tun. Er ist ja überall für mich in mir, um mich. Und ich kann die Kirche nicht verteufeln für ein schwarzes Schaf, mit dem ich zu tun gehabt hab'."

Der Schrei habe ihr 46 Jahre lang im Hals gesteckt, sagt Pia Nachtsheim. Das jetzt immer mehr Missbrauchsfälle auftauchen, sei längst überfällig.

O-TON Pia Nachtsheim, Opfer sexuellen Missbrauchs: "Es muss irgendwie eine Möglichkeit geben, dass die anderen Opfer mehr rauskommen können, dass die sich outen können und das sagen können, ohne dass die verbal mit Dreck beschmissen werden. Weil: Das ist uns ja immer eingeredet worden, dass mit uns schmutzige Dinge getan werden, weil wir schmutzig sind. Das ist ja nur ein Ding, das in dem Kopf von den Tätern ist, um uns gefügig zu machen. Und: Wenn man einmal das Brandzeichen auf der Stirn hat - das bestimmt das ganze Leben!"

Mit dieser Geschichte will sich Pia Nachtsheim jetzt nicht mehr verstecken. Sie will andere Opfer ermutigen, die Schicksale ihrer Kindheit öffentlich zu machen. Denn: Wenn damit nur ein neuer Fall wie ihrer verhindert werden könne, so ihre Hoffnung, habe sich der Schritt raus aus ihrer Welt gelohnt.