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Von Apathie getragen und doch voll an Humor und Sarkasmus

Schmetterling und Taucherglocke von Jean Dominique Bauby / Wie ein Opfer des Locked-in-Syndroms seine Welt schildert

(30.06.1999) Stellen Sie sich folgendes vor. Stellen Sie sich vor, Sie sind gutaussehend und erfolgreich. Ihre Freunde attestieren Ihnen, Sie stünden in Ihren besten Jahren. Sie haben durch Ihre Kreativität und handwerklichen Fähigkeiten ein Unternehmen an die Spitze geführt. Auch im Privaten läuft alles optimal. Sie haben zwei wunderschöne, intelligente und liebe Kinder, Sie streicheln sie nur allzu gern über den Kopf. Nichts tun Sie lieber, als sie in die Arme schließen und ihnen auf jede Wange einen Kuß geben. Stellen Sie sich vor, sie können sich nicht bewegen. Ihr Geist ist rege, doch ihr ganzer Körper ist in dickes Wachs eingegossen, alle Muskeln sind gegen die übermächtige Macht von außen kraftlos, ihr Geist sitzt in einer finstren Höhle, nur manchmal öffnet sich für kurze Zeit die Pupille, ein Blick fällt hinein, und hört in Ihrem Inneren auf zu existieren. Dem Gefängnis kann man nicht entfliehen. Sie hören zwar, aber was bringt's, wenn Sie nicht antworten, nicht um Hilfe oder einfach nur Ihres eigenen Wohlbefindens wegen rufen können. Denn wenn Sie die Lippen nur ein wenig öffnen, spritzt der Sabber in einer Welle so groß wie Ihre Scham aus dem Mund, der schon lange nicht mehr zur Essensaufnahme dienen kann. Versuchen Sie, fünf Minuten nicht zu schlucken...

So diametral diese beiden Welten auch sind, in der ein Mensch glücklich leben oder vegetieren kann, Jean-Dominique Bauby hat sie beide erlebt und ,erstorben'. Dazwischen lagen zwei Monate Koma. Mit 44 Jahren, zur Blütezeit seiner beruflichen Karriere als Chefredakteur der französischen "ELLE" in Paris, erlitt Bauby einen Gehirnschlag. Nur durch einen Zufall, weil eine Spezialklinik in der Nähe war, konnte er am Leben erhalten werden. Doch als er aus dem Koma erwacht, ist ein lebendiger Geist in einem völlig erlahmten, zu Stein gewordenen Körper gefangen. Das "Locked-in-Syndrom" verwehrt im jegliche Handlungsoder Kommunikationsfähigkeit. Doch sein Wille ist groß, und "von der Hoffnung getragen, daß die Nerven wieder arbeiten wollen." Die Ärzte stellen ihm nämlich in Aussicht, seine Nervenstränge könnten sich wieder rekonstruieren, er könnte irgendwann wieder ein normales Leben führen. Bauby hätte in diesem Moment genickt und gesagt "Gut, dann wird's schon wieder," wäre er dazu fähig gewesen.

Doch anstatt, daß ihm die Fügung eine Besserung beschert, vernähen ihm die Ärzte das linke Auge. Er wird noch mehr eingesperrt, seine Seele droht das ganze Buch über zu zerspringen, doch es kommt nie dazu. Seine Bekannten bezeichneten ihn immer als Optimisten. Und auch in diesem zweiten Leben, das gar keines ist, versucht Bauby das beste daraus zu machen und zeigt sich strebsam. Durch eine Betreuerin erlernt er eine ganz neue Art der Kommunikation. Mit der ihm einzig verbliebenen Körperregung, dem Zwinkern mit dem rechten Augenlid, redet er, baut die einzige Brücke zur Außenwelt und formuliert schließlich dieses einzigartige Buch "Schmetterling und Taucherglocke (Le scaphandre et le papillon)," mittlerweile als Taschenbuch erhältlich.*

Es muß nicht betont werden, welche Energie sich mitzuteilen, zu schildern in jeder Silbe dieses unter so widrigen Umständen vollbrachten Buches man kann sagen: Werkes mitschwingt. Jedes Wort ist stichhaltig, besitzt große Aussagekraft. Sonst hätte es Bauby nicht formuliert, für den jeder Buchstabe mit Mühe verbunden war, verstand ihn doch oft die Betreuerin nicht, oder er konnte sich wegen Unwohlsein nicht konzentrieren. Zwei Seiten des 120 Seiten starken Buches entsprach einem Tag Diktat.

In kurzen Episoden schildert Bauby als Korrespondent aus seiner anderen, für uns völlig unvorstellbaren Welt. Er ist der erste Mensch überhaupt, der von seiner Krankheit berichtet. Zum Einen mit nüchternen, journalistischem Anspruch, informierend und kommentierend, ohne Selbstmitleid aufzudrängen. Zum anderen erzählt er seine Erinnerungen, seine Eindrücke, seine Sicht aus unserer Welt, aus der er kommt und in die er wieder zurückkehren will. Er beleuchtet sinnesvoll und mit viel Melancholie sein düsteres Existieren, das nur wie in einem Traum von statten geht, von Apathie getragen aber dennoch mit hartem, schockierenden Sarkasmus und Humor gegenüber seiner eigenen Situation. Er sieht die Dinge realistisch. Daß er sich trotz seines Schicksals nicht in Selbstaufgabe verstrickt und man direkt an seinen Gedanken teilhaben kann, machen das Buch zudem über alles lesenswert.

Und wenn das Buch den Start eines Weges beschreibt, den Bauby gehen wollte. Und man als Leser nichts mehr wünscht, als daß so ein sympathischer und sensibler Mensch sich sein Leid abstreifen kann und sein Ziel, die alte, heile Welt, erreicht, um so härter trifft der Umstand, daß Bauby nicht mal das Echo durch den Ruf seines Buches vernehmen konnte: Er starb am 9.März 1997, zwei Tage nach seiner Veröffentlichung.

* Jean-Dominique Bauby: "Schmetterling und Taucherglocke", erschienen im Verlag Zsolnay 1997.

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Letzte Aktualisierung: 28.3.2024

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