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Erstorientierungskurse

Mehr Geld fürs erste Glied der Integrationskette

Erstorientierungskurse ermöglichen Geflüchteten, ihr Warten auf den Asyl-Bescheid sinnvoll zu nutzen: Grundlagen der deutschen Sprache, gesellschaftliche Gepflogenheiten, bürokratische Gegebenheiten stehen auf dem Kursplan. Doch die Bundesregierung fördert lieber andere Projekte.

(30.04.2023)

Vor ihren DIN-A-4-Blättern sitzen 20 Asylsuchende aus dem Süd-Sudan, Afghanistan oder Syrien, um nur einige Herkunftsländer zu nennen. Sie notieren, welche Arten von Familienstand es in Deutschland gibt, sprechen die einzelnen Begriffe nach: ledig, alleinerziehend, verwitwet, geschieden. „Verheiratet: Das sind Mann und Frau, es können aber auch zwei Frauen oder zwei Männer verheiratet sein“, erklärt Kursleiterin Phimchanok Macleod der Klasse.

Wer da hochkonzentriert vor ihr sitzt, sind gewissermaßen die Musterschüler der Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbegehrende im pfälzischen Städtchen Kusel. Denn sie alle nehmen am sogenannten „Erstorientierungskurs“ freiwillig teil. 300 Stunden dauert er, beinhaltet sechs Module wie „Verkehr und Mobilität“, „Kindergarten und Schule“ und „Werte und Zusammenleben“.

Was simpel klingt, bedeutet für Menschen aus anderen Kulturkreisen und fernen Ländern viel Stoff zu büffeln: „Hierzulande vergeben Ärzte Termine, man setzt sich nicht einfach ins Wartezimmer; der Radweg ist für Fußgänger tabu, auch wenn er oben auf dem Bürgersteig verläuft, deshalb klingelten die Radfahrer ständig wütend“, beschreibt Christoph Emminghaus verschiedene Aha-Momente, die Teilnehmer in den Kursen erlebten, nachdem sie sich über eigene Erlebnisse in Deutschland gewundert hatten.

Emminghaus hat für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Sinn und Nutzen der Erstorientierungskurse wissenschaftlich ausgewertet: „Wenn man die Ansprüche hat, dass Menschen zu uns kommen, dass man aus den Fehlern der Arbeitsmigration in den 70er Jahren lernen möchte, dass Menschen nicht unintegriert in Deutschland leben – dann sind Erstorientierungskurse das Gegenteil davon. Sie sind Integration vom ersten Tag an und die Menschen kommen weiter.“

Lehrinhalten planmäßig auf der Stelle

Nicht zu verwechseln sind die „Erstorientierungskurse“ mit den gemeinhin bekannteren „Integrationskursen“. Die sind für Neuzuwanderer verpflichtend, wenn sie nicht einfaches Deutsch beherrschen, und deutlich umfangreicher und mit einem aufbauenden Lehrplan, finden in der Kommune statt, der der Asylsuchende zugewiesen wurde. Erstorientierungskurse hingegen sind ein freiwilliges Angebot, meist in einer Aufnahmeeinrichtung – auch für Asylsuchende, die keine Bleibeperspektive in Deutschland erwarten dürfen oder wegen Abschiebestopps in unsichere Herkunftsländer wie Syrien oder Afghanistan derzeit nicht abgeschoben werden.

So dient der Erstorientierungskurs neben Vermittlung von Sprache und Gepflogenheiten ganz einfach auch dem Lernen von Lernen. „Hier vermitteln wir die Basics: Vokabular und wie sie das Lernen selbst strukturieren. Wir geben ihnen sozusagen ein Handwerk mit“, erklärt Kursleiterin Phimchanok Macleod, die gewissermaßen mit ihren Lehrinhalten planmäßig auf der Stelle tritt: Ihre Schulklasse verändert sich jede Woche, Teilnehmer werden in Kommunen transferiert, deren Platz erhalten Nachrücker, die bei null anfangen. Die Lehrerin wird nie sehen, welche Früchte ihre Arbeit trägt. Selbst Abschlussprüfungen sind in Erstorientierungskursen nicht vorgesehen.

Erstes Glied der Integrationskette

Doch was Macleod mehr zusetzt: Ob sie weiterhin ihre Kurse überhaupt halten kann, ist ungewiss. Denn der Bund verdoppelte zwar vergangenes Jahr aufgrund des Ukraine-Kriegs die Mittel für Orientierungskurse auf 45 Millionen Euro. Doch dieses Jahr fließen nur noch 25 Millionen. Eine Rückkehr zur eigentlichen Planung, heißt es zur Begründung aus dem Bundesinnenministerium. In Integrationskurse fließe nun mehr Geld als bisher, auch weil mit einem neuen „Chancen-Aufenthaltsrecht“ Asyl-Antragsteller unabhängig von ihrer Bleibeperspektive schon während ihres Asylverfahrens direkt einen Integrationskurs absolvieren dürfen.

Emminghaus findet diese Entscheidung völlig richtig – wenn Integrationskurse allein stünden und die Zahl der Asylanträge insgesamt nicht wieder steigen würde: „Als Erstorientierungskurse 2017 aufgelegt wurden, war die Idee: Wir brauchen eine Integrationskette! Der Integrationskurs ist eine große Errungenschaft. Aber die Analyse war immer: Er ist sehr voraussetzungsvoll“, erklärt Emminghaus. Wer als Kind vielleicht nie eine Schule besuchte, für den seien 600 Stunden oder 900 Stunden Unterricht eines Integrationskurses in einer fremden Sprache und einer fremden Welt eine Herausforderung. Hinzukomme, dass viele Geflüchtete währenddessen noch ihre Fluchterfahrung zu verarbeiten haben, wie Emminghaus beschreibt.

Zahlen und Planung weit auseinander

Das Bundesinnenministerium führt einen weiteren Grund für seine Mittelplanung an: „Untersuchungen zeigen deutlich, dass Geflüchtete aus der Ukraine beispielsweise zu der mit am besten qualifizierten Gruppe von Zugewanderten gehören. So verfügen 72 Prozent der Geflüchteten aus der Ukraine über einen tertiären Bildungsabschluss“, teilt ein Sprecher mit. Der Anteil derjenigen, die nur eine Grundschulbildung oder gar keinen Bildungsabschluss vorweisen können, sei äußerst gering. Lernen lernen im Erstorientierungskurs: für Ukrainer somit überflüssig.

Von „bedarfsgerechter Planung“ spricht das Ministerium deshalb. Nur passt das nicht mit Zahlen zusammen: Die Volkshochschulen bieten deutschlandweit 45 Prozent der Kurse an und sind damit der größte Organisator der Kurse. Sie zählen auf: Anträge für rund 1.200 Kursangebote wurden gemeldet, nur 250 können realisiert werden. Wartezeit bis Kursbeginn: derzeit 15 Wochen. Aktuell blieben zehntausende Menschen in Erstaufnahmeeinrichtungen oder in der Wartephase für einen Integrationskurs ohne Bildungsangebot. Verlorene Zeit.

„Wertvolles Instrument“ könnte verloren gehen

Von den Trägern der Kurse heißt es unisono, das System sei bereits jetzt am Limit, die Raum- und Lehrkraftakquise ausgereizt, das Verwaltungs- und Planungspersonal überlastet. Um das Interesse der lernbegeisterten Asyl-Begehrenden bewältigen zu können, müsse mehr Personal eingestellt und administrative Auflagen abgesenkt werden. „Der Bedarf ist einfach höher als 25 Millionen Euro“, pflichtet Emminghaus bei. „Im Sinne einer schnellen Integration wäre es sinnvoll, dass es mehr Geld gibt, damit mehr Menschen Erstorientierungskurse besuchen können und schnell in den Integrationsverlauf eintreten können.“

So sehen das auch die Integrationsminister der Länder und verabschiedeten auf ihrer Konferenz in Wiesbaden einen Antrag auf mehr Geld vom Bund für Erstorientierungskurse. Konferenzvorsitzender Kai Klose (Bündnis 90/Die Grünen) sprach immer wieder davon, ohne die Kurse würde „ein wertvolles Instrument verloren gehen.“

Wird Bund doch mehr Geld geben?

Wertvoll nicht nur für die Schüler, sondern auch für diejenigen, die ihre Kurse bezahlen – den Steuerzahler: „Natürlich kommt kein Teilnehmer direkt auf den Arbeitsmarkt. Aber diese Menschen sind engagiert, haben Potenzial“, sagt Klose. „Wir haben eine sechsstellige Zahl von Personen, die jedes Jahr aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Ohne eine vernünftig gesteuerte Zuwanderung werden wir das nicht auffangen können. Und da leisten auch die Erstorientierungskurse einen wichtigen Beitrag.“

Ob der Antrag von den Ländern an den Bund Erfolg beschert sein wird, könnte sich zum sogenannten „Flüchtlingsgipfel“ am 10. Mai herausstellen. Angesichts der steigenden Zahl von Asylanträgen hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die Regierungschefinnen und -chefs der Bundesländer zum Sondergipfel geladen haben.

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Letzte Aktualisierung: 28.3.2024

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